20 Müsliriegel plus vier Reserve. Das sollte reichen. Für jeden Tag zwei. Einen mit Proteinen, einen mit Kohlehdraten. Und falls die Anstrengungen überhand nehmen, drei. Egal dann, welcher.
Ich packe meinen Rucksack für 10 Tage Indien, unsere fünfte Pilgerreise nun in Folge und habe vor nichts zu essen, weil dort ja alles verseucht ist und ich sonst im Sarg retour komme, wie man mir versicherte. Meine verlässlichen Quellen waren immerhin erfahrene Indien-Reisende, die quasi aus erster Hand von Tod und Teufel berichteten, besonders auf das Wasser sei zu achten, ein Schluck davon würde für die Verabschiedung vom Diesseits völlig reichen. Und natürlich alles, was mit Wasser irgendwie in Berührung kommen könnte, die gedankliche Fortführung versteht sich von selbst. Der Grund dafür sind Viren und Bakterien in todbringenden Formen, wie sie die Menschheit (außerhalb von Indien) noch nicht gesehen hat. Es leuchtet ein, dass der verweichlichte europäische Durchschnittskörper damit nicht umgehen kann und somit rasch das Zeitliche segnen würde. Die kriegen mich nicht, dachte ich mir, und verstaue sorgfältig einen Riegel nach dem anderen im Rucksack.
In Wien leben 4.543 Menschen pro Quadratkilometer, in Mumbai (wir landen in einer Stunde) 25.546 Menschen pro Quadratkilometer. Es wird also recht eng da unten.
Die Luftverschmutzung ist so hoch, dass man angeblich schon im Landeanflug auf Mumbai den Dreck riechen kann. Jetzt geht es also bergab, denke ich mir, als der Pilot seine Crew auffordert, Platz zu nehmen.
Simon, Erich und ich sehen uns an, warten dass der Dreck durch die Nase kommt, aber wir riechen nichts. Entweder hat der Flieger neue Filter oder der Wind kommt günstig, Prophezeiung 1 können wir nicht nachvollziehen. Alles ganz normal, ähnlich wie Mallorca.
Ruckzuck sind die Rücksäcke da, danke Lufthansa. Das freundliche Lächeln unseres (noch in Österreich reservierten) Taxifahrer erkennen wir im Nu, hat er uns doch vernünftigerweise zuvor ein Bild von ihm gesendet, obwohl die Menge der Menschen überschaubar ist.
YMCA Hotel
Erich hat gebucht, günstig, mit Etagenbad und Seife für alle. Waren die nicht schwul? Ich errinnere mich an ein Musikvideo mit Polizisten, die die Knüppel schwingen. Nun haben sie auch noch die Betten dazu, denke ich, bis man mich aufklärte, dass YMCA eine internationale Hotelkette ist. „Young Men´s Christian Association” steht über dem Eingang. Der Rezeptionist ist superfreundlich und die Zimmer sind rucksacktauglich.
Die erste Nacht verläuft ohne besondere Vorkomnisse. Relativ leise, dafür dass wir mitten in Mumbai schlafen, wenig Gelsen und keine Polizisten im Bad.
Wir wachen gegen 8 Uhr auf (leichter Jetlag -4,5 Stunden) und begeben uns in den ersten Todestrakt. Die Tür zum Frühstücksraum im ersten Stock ist relativ unscheinbar, fast zu normal dafür, dass dahinter das Gemetzel droht, denke ich und umklammere den Müsliriegel in meiner Linken.
Erich geht vor, wie immer in fremden Ländern, ist doch er der Wagemutigste von uns dreien, wenn es darum geht den Wanst zu füllen. Ehrlich gesagt, das Frühstücksbuffet im YMCA Mumbai ist keine Offenbarung, aber auch keine Schlachtbank für Europäer. Das Essen wirkt absolut sauber zubereitet. Die (geschätzten 20) Inder dahinter lächeln überfreundlich, sind sehr serviceorientiert, schnell und zuvorkommend. Alles wirkt recht einladend. Kein indisches Roulette am Buffet, wir riskieren daher die Scrambled Eggs.
„Water?” fragt ein Inder mit Krug, während wir wagemutig die Gabel ansetzen,
„No!! thank you!” (wir wollen nicht übermütig werden)
„Water!!!!” Die Scrambled Eggs waren mit Chilli, aber „bottled” kann ja nichts passieren. Wir lachen freundlich (und erleichtert). Der Müsliriegel wandert (vorerst!) zurück in den Rucksack, vielleicht hatten wir heute morgen ja nur Glück.
Wir gehen zu Fuß, wollen Mumbai aus nächster Nähe erleben. Erich fragt den Rezeptionisten noch, wo es den einen wirklich, wirklich guten Kaffee gäbe (da kennt der Erich kein Pardon, das Gschloder im Hotel war dünn wie Tee). Zum Glück nur zwanzig Gehminuten vom Hotel entfernt. Genau das richtige für uns drei mit Kamera. Ein kurzer Walk, vielleicht der eine oder andere Jahrhundertschuss in the streets of Mumbai und dann ein Kaffeetscherl wie zu Hause auf der Terrazza.
Naja, Jahrhundertschuss ist keiner dabei, das Kaffeehaus ist ok, Terrasse gibt es keine, aber große Fenster und vor uns das Treiben von Mumbai.
Nach Norden oder Süden?
Im Norden gibt es eine Schiffszerlege-Werkstatt so groß wie Niederösterreich, im Süden schöne Strände, Palmen und jede Menge Hippies. Nach 3 Tagen Dauerhupe (Jede Rikscha begrüßt jede Rikscha mit einem doppelten Hupsignal) im dichten Verkehr von Mumbai entscheiden wir uns für den Zug nach Goa. Die Aussicht auf ein frisches Bad im sauberen Meer ist verlockend, insbesondere weil, das ergaben die letzten Recherchen, die riesigen Schiffsdemontage-Gebiete wahrscheinlich abgesperrt sind. Und was gibt es Schlimmeres, als 16 Stunden Anreise und dann „sorry, no entry”.
Der Zug in Indien (so Prophezeiung 2) sei, anders als bei der ÖBB, unglaublich voll gestopft. Entweder man kommt sich vor wie eine Sardine in der Dose oder man sitzt am Dach. Ja und Karten zu bekommen wäre überhaupt eine Tortour sondergleichen. Simon meint daher, leicht in Sorge, wir sollten eventuell einen Tagerl vorher den Bahnhof mal ansehen und lässig (im Sinne von rechtzeitig) die Karten checken.
Die Idee war nicht schlecht, allerdings dauerte es zu unserem Erstaunen nur eine knappe Stunde, bis wir die Karten hatten. Nicht dieses Gebäude, eines weiter, nicht dieser Schalter, einer weiter und das wars dann aber auch. Also im Grunde genommen ein normales Szenario an einem fremden Ort, klar dass man mal wo falsch ansteht, oder ein Haus weiter muss. Aber die Karten heute schon zu haben, ist trotzdem ein gutes Gefühl (2.50 Euro pro Person) schließlich geht es am nächsten Tag um 6.15 Uhr los.
Das beste Essen ever
Am Abend geht es ins „Burma Burma”. Erich hat diesen vegetarischen Tipp bekommen und wir fahren mit dem Taxi (1,50 Euro für eine geschätzte Fahrt von 30 Minuten quer durch Mumbai) mal in die Gegend um die letzten Meter dann fotografierender Weise näher zu kommen. Das Lokal hat noch zu, aber das Bodenpersonal am Eingang hinterläßt in uns eine gewisse Vorahnung, die wenig später unmittelbar nach Eröffnung (und nach stand in line) bestätigt wird. Das Essen beschert unseren Gaumen einen noch nie dagewesenen Höhenflug. Diese abartig geile Vorspeise, deren Basis „nur” aus Süsskartoffel und Paprika besteht, ist geschmacklich uneinholbar. Ich schäme mich für so wenig Vertrauen und meine 24 Müsliriegel. Erich und Simon geht es ähnlich (mit der Freude am Gaumen, nicht mit dem Schämen. Simon hat nur 10 Riegel mit, Erich gar keinen). Man serviert uns 3 unterschiedliche Vorspeisen, 3 unterschiedliche Hauptspeisen und 3 unterschiedliche Desserts. 9 Weltwunder für 75 Euro. I will never forget.
Wir gehen bald zu Bett, schlafen kurz und steigen am nächsten Morgen um 4.45 Uhr ins Taxi. Nichts ahnend, dass der Verkehr in Mumbai um 4.45 Uhr ähnlich ruhig ist wie bei uns, sind wir viel zu früh am Bahnhof. Wir setzen uns vor den noch verschlossenen Zug und essen Bananen. Viele Bananen. Da alle Geschäfte um 4.45 Uhr auch in Mumbai zu haben, brachte uns der Taxifahrer zum Großhandelsmarkt. Die kleinste Einheit dort war eine Staude. Erichs Silhouette im Dunkeln mit der Staude Banane... wie im Urwald. Ich höre Simon, ob des unhandlichen Zusatzgepäcks, immer noch schimpfen: „Die kleinste Einheit ist immer noch eine Banane!”
5.45 Uhr. Der Zug ist immer noch verschlossen und es kommt auch kein einziger Inder daher. 30 Minuten vor Abfahrt, das ist eigenartig. Allerdings ist hinter uns ein bissl was los, wir nehmen die Bananen im schwarzen Sack und steigen ein. Hier gehts nach Goa.
Die „Sleeper Class” bei den Indian Railways erweist sich als ausgesprochen komfortabel, jeder von uns hat fast ein Abteil für sich. Prophezeiung 2, vollgestopfte Züge, alles nur Geschichten? Nicht ganz, 2 Stationen weiter ist unser Zug nach Goa voll belegt. Nicht voll gestopft, aber jeder Platz vergeben. Uns bleibt die Fahrt am Dach erspart, wir klappen unsere Lehnen hoch und hauen uns aufs Ohr. „Chai.. Chai.. Chai..” hören wir das Servicepersonal durch die Gänge plärren, aber es wird vom Schlaf verdrängt langsam immer leiser.
Ratnagiri. Halbzeit.
Ratnagiri, eines von 35 Distrikten des Staates Maharashtra in Indien. Wir kommen am frühen Nachmittag an, da wir beschlossen haben, die Fahrt zu teilen. Bis Goa wären es 15 Stunden. Wir machen Halbzeitpause, steigen zu dritt mit Gepäck auf die Rückbank einer Rikscha und suchen ein Hotel am Meer.
„Do you want a Suite or Standard Room?” Wir wählen schamlos Luxus, nach 8 Stunden Bananen, Railway Pritsche und Bananen. Das Ratnasagar Beach Resort empfängt uns, wie bislang alles in Indien, mit engagierter Freundlichkeit. Die Suite ist ein Hobbit Haus. Klein (das ginge noch) aber niedrig. Sehr sehr niedrig.
Ist man größer als 1,50 haut man sich dauernd die Birne an. Die Holzbrettbude ist eine Suite für Kinder und Wir, ein Festmahl für die Gelsen. Wir lachen (noch) darüber, ziehen die Badehose an und laufen vor zum Strand. 28 Grad, was will man mehr.
Eint totes Huhn (will mal sehen, ob es noch fliegt.. Eriiiiiich.....) lasse ich dann doch im Sand liegen und gehe baden. Erinnerungen werden wach, Oman 2018.
Die Speisekarte im Hotel ist üppig. 20 Seiten mit feinsten indischen Gerichten, aber (außer einem Business Gast, der seinen Laptop klopft) niemand da. Wir bestellen im großen Stil, „no sorry”, only French Fries and Beer. Ok, heute Abend gehen wir essen in der Stadt, aber der Blick zum Beach ist cool.
Tripadvisor sei dank - MITHILA - ein Top-Lokal in Ratnagiri mit nettem Kellner und „not spicy”. Wir vertrauen und werden nicht entäuscht. Und kommen (immer) wieder.
Das Stativ in der Tasche, satt und trotzdem hungrig, suchen wir die dunklen Ecken mit nur einer Lichtquelle oder zwei. Ein paar „Lange” sollen es werden heute Nacht. Das funktioniert nur mit Stativ, 30 Sekunden Belichtungszeit macht vieles schön, zumindest schöner als bei Tag.
Die Drohne in der Luft ist überraschend. Wir landen wieder und gehen durch ein kleines Dorf, Tag 2 in Ratnagiri. Hier braucht man Zeit, das spüren wir. Die Menschen hier sind natürlich mißtrauisch. 3 weiße Europäer sehen viele zum ersten Mal, insbesondere die Kinder. Unsere Kamera wirkt vielleicht wie ein Spielzeuggewehr, die Kinder verstecken sich vor uns, kommen wieder hervor, lächeln kurz und laufen wieder weg. Nur langsam gewinnen sie Vertrauen, auch wir. Reden ein wenig, erzählen von uns und hören anderen zu. Die Menschen haben nichts, nur den Lehmboden, Steine, Wald, einfachste Kleider und ein Smartphone. Wir staunen, machen gerne Selfies mit ihnen und ziehen weiter.
Goa wir kommen
Unser Zug geht am Nachmittag, nochmal 6-7 Stunden, dann sind wir da. Goa Süd, bitte alle aussteigen. Ein junger Mann tritt hilfreich an unsere Seite. „Best Hotel in Town? Star-Hotel (was sonst), no problem, come with me!” Der Fahrer weiß nichts davon und bingt uns für 500 Rupien! in eine Spelunke. Lauter Gauner, endlich passt mal einer in die Schublade. Wir gehen gegenüber in die „Soul Vacation” 2 Zimmer Suite mit Pool, hier lässt sichs leben.
Erich hat keinen Motorrad Führerschein, Simon und ich unseren nicht dabei. Trotzdem bekommen wir 3 Mopeds, und machen uns im Links-Verkehr von Goa auf den Weg zum südlichsten Teil des Landes.
Hier werden wir auf Hippies treffen, so Prophezeiung Nummer 3, nachdem diese schon vor Jahren Tourismus und kommerzialisierten Parties im Norden den Rücken kehrten. 100 Kilometer hin und retour, mit dem Moped ganz schön windig. Ich leide ein wenig mit den Augen. Simon, erprobter Roadster, tauscht den Helm mit mir (er hat Visier) und Erich sitzt als Rookie, man beachte, die Strecke lässig auf einer Backe ab.
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